Selten kam es vor, dass es in unserer Kaufhalle Negerküsse gab. Das geschah vielleicht zweimal im Jahr. Die Leute, die Kinder freuten sich ungemein, und alle wollten Negerküsse haben.
Sie wurden lose am Backwarenstand verkauft. Da sie auch lose in Kisten angeliefert worden waren, war von vorn herein etwa die Hälfte der Negerküsse kaputt bzw. eingedrückt. Der Rest ging dann beim Eintüten kaputt, denn die Küsse wurden mit der Gebäckzange lieblos in eine Papiertüte geworfen.
Die Leute erbaten im Schnitt zehn Stück. Mehr hätte die Verkäuferin auch nicht ausgehändigt. So war es bei allem. Nichts gab es in unbegrenzter Anzahl zu kaufen. Wer mehr wollte, als es die Verkäuferin für richtig hielt, bekam ein klares Nein zu hören.
Und niemand murrte, niemand begehrte auf. Niemand wäre außerdem auf die Idee gekommen, unversehrte Negerküsse zu verlangen. Jeder bekam die kaputten Stücke verpasst und als Trostpflaster einige wenige ganze.
Trotzdem war die Freude groß, wenn meine Mutti zu Hause die Negerküsse auspackte. Sie wurden gerecht aufgeteilt und langsam mit kleinen Plaste-Eislöffelchen vernascht.
Ich habe die Negerkuss-Freude in schönster Erinnerung behalten. Ich liebe die süßen Teilchen heute noch. Allerdings muss ich zugeben, dass mir die Dickmanns besser schmecken als die Grabower Küsschen. Sie sind feiner und milder und nicht so übersüß.
Also ich gehe jetzt in die Küche und hole mir einen.
Undine März